Politikwechsel statt Wahlkampfshow - Eine andere Welt ist möglich! | ||
Am 14. September in Köln | ||
Innere Sicherheit und Demokratie-Abbau im Zeichen von Globalisierung und dem 11. SeptemberRolf Gössner Angriff auf die Freiheitsrechte Mit neuen „Anti-Terror“-Gesetzen in den autoritären Sicherheitsstaat? Terror stärkt den Staat und entwertet Freiheitsrechte – das hat sich seit dem 11. September 2001 wieder deutlich gezeigt. Ein Jahr nach den Terroranschlägen in den USA ist es höchste Zeit, endlich Bilanz darüber zu ziehen, was seitdem im Namen der Terrorismusbekämpfung, im Namen der Sicherheit angerichtet worden ist. Die Anschlagsserie in den USA sollte uns eigentlich bewusst gemacht haben, wie verletzlich hochtechnisierte Risikogesellschaften sind. In keiner Gesellschaft gibt es einen absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt – schon gar nicht in einer liberalen und offenen Demokratie. Es grenzt daher an Volksverdummung, wenn die herrschende Sicherheitspolitik gerade diese Allmacht suggeriert – während die staatliche Hochrüstung selbst zu einer Gefahr für die Bür-gerInnen wird, der Sicherheitsminister zu einem Sicherheitsrisiko. Das Streben nach totaler Sicherheit birgt totalitäre Züge. Es kann zerstören, was es zu schützen vorgibt: die Freiheit. Der Aktionismus eines Otto Schily führte – unter Missachtung des Parlaments – zu den um-fangreichsten „Sicherheitsgesetzen“, die in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte jemals auf einen Streich verabschiedet wurden. Und diese Rechtsgeschichte ist ja nun seit den Notstandgesetzen wahrlich nicht arm an freiheitsbeschränkenden Gesetzeswerken. Ausgerechnet eine rot-grüne Bundesregierung sattelte auf diesen immensen Fundus des Präventions- und Repressionsarsenals noch drauf (ohne die Grünen wäre es allerdings noch schlimmer gekom-men) – ohne auch nur die Frage zu stellen, ob nicht die bereits geltenden Gesetze zur Bewäl-tigung der Gefahrensituation ausgereicht hätten. Die "innere Sicherheit" beginnt hierzulande schließlich nicht bei Null, sondern kennt längst ein ausdifferenziertes System von Anti-Terror-Regelungen mit zahlreichen Sondereingriffsbe-fugnissen, kennt die Raster- und Schleppnetzfahndung, verdachtsunabhängige "Schleierfahn-dungen" und Videoüberwachungen, eine Fülle von Abhör- und Kontrollmöglichkeiten bis hin zum Großen Lauschangriff in und aus Wohnungen; nicht zu vergessen die seit Jahren ver-schärfte Ausländerüberwachung. Wir haben bereits eine Fülle von hochproblematischen Re-gelungen, angelegt auf Vorrat – sozusagen für den ganz normalen Ausnahmezustand. Anders als viele bürgerrechtsbewegte Menschen gehofft hatten, gab es nach Ablösung der Kohl-Regierung 1998 – mit wenigen Ausnahmen – kein wirkliches >Umdenken und Umsteu-ern in der Politik der sog. Inneren Sicherheit<. Die bürgerrechtsfeindlichen Früchte dieser Politik wurden nicht auf den Prüfstand gestellt. Stattdessen hat die rot-grüne Bundesregierung weitgehend auf dieser Grundlage ihrer Vorgängerin aufgebaut. Selbstverständlich gehört es zu den Aufgaben und Pflichten von Regierung und Sicherheits-behörden, die Mittäter und Hintermänner der Terror-Anschläge zu ermitteln und mit geeigne-ten, aber angemessenen Maßnahmen für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Doch in einer solch prekären Situation wäre es Pflicht der Regierung gewesen, Realitätssinn und Augenmaß zu bewahren, statt dem Schrei nach dem „starken Staat“ mit symbolischer Politik zu folgen, lang gehegte Pläne gleich paketweise aus den Schubladen zu zerren und mit Anti-Terror-Etiketten zu bekleben. Die sog. Otto-Kataloge sind weitgehend ineffizient, schaffen kaum mehr Sicherheit, gefährden aber die Grund- und Freiheitsrechte umso mehr: 1.Schon bislang gehörten MigrantInnen zu der am intensivsten
überwachten Bevölkerungs-gruppe. Nun werden sie per Gesetz unter
Generalverdacht gestellt und einem noch rigide-ren Überwachungsregime
unterworfen. Mit dieser Sonderbehandlung werden Fremde stigmatisiert und
fremdenfeindliche Ressentiments geschürt. Schon vor dem 11.9. ist die Reise-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit zahlreicher Globa-lisierungskritiker suspendiert worden. Mit Ausreiseverboten, Pass-Beschlagnahmen, Melde-auflagen und Polizeiaufsicht wurden sie daran gehindert, nach Stockholm, Salzburg oder Ge-nua zu reisen, um an internationalen Protesten teilzunehmen. Solche Maßnahmen werden auf eine „Gewalttäter-Links“-Datei des BKA gestützt. Darin sind nicht etwa nur rechtskräftig Verurteilte gespeichert, sondern auch Personen, die nur mal in eine Personalienfeststellung der Polizei geraten sind oder bei denen „die Persönlichkeit“ Grund zu der Annahme gibt, dass sie künftig straffällig werden könnten. Diese skandalöse Praxis ist bis heute nicht behoben. Alles in allem: Es scheint, als befänden wir uns in einem nicht erklärten Ausnahmezustand, in dem die Kompetenzen und Befugnisse aller Sicherheitsorgane abermals erweitert, die macht-begrenzenden Trennungslinien zwischen Polizei und Geheimdiensten bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden, ganze Bevölkerungsgruppen zu Sicherheitsrisiken mutieren, ganze Lebensbereiche mit problematischen Rasterfahndungen überzogen werden – und ganz nebenbei wird eine der ältesten rechtsstaatlichen Errungenschaften, die Unschuldsvermutung, aufgegeben, die Beweislast umgekehrt. Das sind Merkmale eines autoritären Sicherheitsstaates, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen verloren gehen, Verunsicherung und Verängstigung gedeihen. Die Anschlagsserie in den USA gilt vielen Politikern als Angriff gegen Demokratie, Freiheit und die offene Gesellschaft. Könnte es nicht sein, dass die sicherheitspolitischen Reaktionen auf diese Terroranschläge wesentlich größeren, nachhaltigeren Schaden an Demokratie, Frei-heit und Bürgerrechten anrichten, als es die Anschläge selbst vermochten? Der Einfluss von Usama bin Laden und Al Kaida auf die Gesetzgebung in diesem Lande scheint beträchtlich. Es war der Liberale Burkhard Hirsch, der Otto Schilys „Sicherheitspaketen“ insge-samt Respektlosigkeit „vor Würde und Privatheit seiner Bürger“ bescheinigte sowie „totalitären Geist“. Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht die Fra-ge, warum sich die Menschen in diesem Land – anders als etwa in Zeiten der „Volks-zählung“ in den 80er Jahren – das alles gefallen lassen, warum sich so wenig Wider-stand regt. Der heutige Aktionstag ist zwar ein hoffnungsvolles Signal. Doch in Zei-ten, in denen Menschenrechte mehr und mehr als Hindernis auf dem Weg zur „Sicherheit“ begriffen werden, müssen wir weiterdenken – etwa in Richtung eines euro-päischen Netzwerkes für Menschenrechte. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Verteidigung elementarer Freiheits- und Bürgerrechte – und damit auch um die Aktionsbedingungen von internationalen Protest- und Widerstandsbewegun-gen, die sich für eine andere, für eine gerechtere Welt engagieren. Dr. Rolf Gössner (Bremen) ist Rechtsanwalt, Publizist und
parlamentarischer Berater. Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze u.a. in:
Blätter für deutsche und internationale Politik, Frank-furter Rundschau,
Freitag, Neues Deutschland, die tageszeitung (taz), vorgänge und
Widerspruch (Zürich). Mitherausgeber von „Ossietzky“ – Zweiwochenschrift
für Politik/Kultur/Wirtschaft (Hanno-ver/Berlin). Sachverständiger in
Gesetzgebungsverfahren des Bundestages und von Landtagen. Mitglied der
Jury zur jährlichen Verleihung des Negativpreises „BigBrotherAward“ an
Firmen, Behörden und Politiker, die in besonderem Maße gegen den
Datenschutz verstoßen (2001: Bundesinnenminister Otto Schily).
Buchveröffentlichungen (Auswahl): | ||